Katerstimmung

Montagmittag in der Büro-Kantine. Pommery beisst hungrig in einen Burger. Dijon stochert im Ebly-Eintopf und trinkt einen Schluck Fencheltee. 

Pommery: Keinen Appetit heute? 

Dijon: Ich habe noch Nachwehen vom Wochenende. 

Pommery: Der Kater dauert auch schon länger als früher.  

Dijon: Allerdings. 

Pommery: Hast du das Apéro mal wieder ausgedehnt? 

Dijon: Ja, eigentlich wollte ich nur kurz anstossen und dann nach Hause.  

Pommery: So fangen die guten Abende immer an. 

Dijon: Naja, so gut war’s dann zum Schluss doch nicht mehr (trinkt verschämt einen Schluck Fencheltee).

Pommery: Wieso? 

Dijon: Es ist eskaliert. 

Pommery: Wie eskaliert? Ist Blut geflossen? Bist du nackt durch die Bahnhofstrasse gerannt? 

Dijon: Fast. Ich habe Heinz in die Mangel genommen. 

Pommery: Unseren Buchhalter-Heinz? 

Dijon: Genau den. 

Pommery: So schlimm wird es wohl nicht gewesen sein?  

Dijon: Doch. Ich habe mich gestern sogar bei ihm entschuldigt.  

Pommery: So schlimm? 

Dijon: Ich konnte nur noch daran denken, was ich zu ihm gesagt habe. Kotzübel war mir sowieso. Aber die Gedankenspirale und das schlechte Gewissen – viel schlimmer. 

Pommery: Ah, das kenn ich. Weisst du, wie man das nennt? Kopf-Kater! 

Dijon: So was wie Kopfschmerzen? 

Pommery: Nein, ich meine Kopf-Kater. Der Tag danach. Du wachst auf und fühlst dich einfach nur beschissen und schämst dich. Denkst, dass du der furchtbarste Mensch auf der Welt bist. 

Djion: Das trifft’s. Ich habe mich am Samstagmorgen im Bett gewälzt, mir an den Kopf gegriffen und gedacht: Was habe ich getan? Und warum um Himmels Willen habe ich all diese Dinge gesagt? Eine Endlosschlaufe! 

Pommery: Das ist fies. Hat dein Kopf dann angefangen, alle peinlichen und doofen Episoden deines Lebens heraufzubeschwören?  

Dijon: Oh ja! 

Pommery: Schrecklich, oder? 

Dijon: Furchtbar. Vielleicht sollten wir einfach aufhören zu trinken. 

Pommery: Mein Kopf schafft das auch nüchtern. Manchmal liege ich an einem ganz normalen Abend im Bett, kann nicht schlafen und erinnere mich plötzlich wieder an irgendeine Episode von vor zehn Jahren, wo ich dieses gemacht oder jenes gesagt habe.  

Dijon (seufzt): Ich hab jetzt wieder eine Geschichte mehr im Repertoire, für die ich mich in Zukunft schämen kann. 

Pommery: Was genau hast du denn zu Heinz gesagt? 

Dijon (seufzt): Nach ein paar Bier war ich plötzlich Lifecoach und wollte ihm erklären, worum es im Leben geht. Ich sagte, er solle mehr aus sich herauskommen, weniger Mainstream und langweilig sein, sich mehr trauen… 

Pommery: Naja, das klingt jetzt aber nicht tragisch. 

Dijon: Du warst nicht da. Ich war so richtig pathetisch… 

Pommery: Okay… 

Dijon: Warum denkt mein beschwipstes Ich, es könne jemandem erklären, was richtig oder falsch ist. Als ob ich das wüsste! 

Pommery zuckt mit den Schultern. 

Dijon: Ich mag mein beschwipstes Ich nicht, zumindest nicht, wenn es so überzeugt von sich ist und so viel Platz einnimmt.  

Pommery: Das verstehe ich. Aber vielleicht sollten wir uns nicht ganz so ernst nehmen. Ich meine, manchmal schiesst man halt ein bisschen übers Ziel hinaus. Niemand ist perfekt, egal ob nüchtern oder nicht.  

Dijon: Naja. Der rationale Teil meines Hirns stimmt dir zu. Aber ich fühle mich trotzdem noch scheisse. 

Pommery: Ja, das ist okay. Sieh es doch so: Immerhin denkst du über dein Verhalten nach. Das ist doch was. Aber dich dafür fertig machen – das geht zu weit. Heute und an all den Nächten, in denen du schlaflos im Bett liegst.  

Dijon: Schon gut. Ich sehe deinen Punkt. Jetzt bist du aber plötzlich Lifecoach.  

Pommery: Ich schäme mich aber kein bisschen dafür (zwinkert).

Dijon seufzt. 

Pommery: Was hat er denn gesagt? 

Dijon: Wer? 

Pommery: Na, Heinz. Nach deiner Entschuldigung. 

Dijon: Ach so. Er konnte sich gar nicht mehr an unser Gespräch erinnern.

 

Mehr von Dijon und Pommery:

#NewYearOldUs

Wäre, wäre, Fahrradkette